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Franz Maurer
Die Wenden der Niederlausitz

Der nachstehende Text von Franz Maurer erschien in Nummer 17 der Wochenzeitschrift “Das Ausland” von 1866. Es handelt sich um eine Mischung aus Reisebericht und ethnografischer Abhandlung, die unbedingt im Kontext des herrschenden preußischen Zeitgeistes zu betrachten ist. Obwohl offensichtlich wird, dass Maurer eine tiefe Sympathie gegenüber den Wenden hegt, bedient er sich pauschaler Stereotype und kolportiert beliebte Vorurteile. Seine “rassenkundliche” Beschreibung von Charakter und Erscheinungsbild der Wenden lässt aus heutiger Sicht ungute Assoziationen aufkommen, bietet aber auch Aufschluss darüber, wie die übliche Außenbetrachtung auf die Wenden dieser Zeit aussah. Bemerkenswert sind Maurers Anmerkungen zum Sprachtod in der Niederlausitz, den er zwar mit Bedauern beobachtet, jedoch für unausweichlich hält.

Der Text wurde leicht verändert und an die moderne Rechtschreibung angepasst; einige heute unbekannte Wörter und Wendungen wurden ausgetauscht. Das Original ist hier online verfügbar.

Im vergangenen Sommer hatte ich Veranlassung, die reizend gelegene Stadt Guben am Zusammenfluss der Neiße und Lubst zu besuchen, die jetzt nur noch berühmt ist wegen ihres köstlichen Obstes und des säuerlichen Weines, der unter den verschiedenartigsten französischen Benennungen von uns Norddeutschen getrunken und je nach Namen mehr oder minder teuer bezahlt wird. In alten Zeiten war diese Stadt ein Vorposten und Bollwerk des Germanismus, der im blutigen Kampf über die tapferen Wenden gesiegt hatte. Sie war auch der Sitz eines kräftigen, trotzigen Bürgertums, dies beweisen noch immer die stattlichen Baureste, welche einst die Stadt schirmten, und der Sinn der jetzigen Generation, der gegen hohe obrigkeitliche Anordnungen leicht erregbar, im Übrigen aber heiter und gemütlich ist – eine Folge des allgemeinen Wohlstandes, besonders des kleinen Mannes, der sich hauptsächlich auf Wein- und Obstbau legt. Vom letzteren kann man sich ungefähr eine Idee machen, wenn man bedenkt, dass Guben in manchem Jahr etwa 200.000 Taler Fracht und Spesen für Obst zahlte.

Bei der Eisenbahnfahrt nach jenem Ort machte ich die Bekanntschaft eines interessanten Mannes, eines höheren Baubeamten, der eine erstaunliche Kenntnis der Niederlausitz besaß, vorzüglich in archäologischer und geologischer Beziehung, und mich auf merkwürdige Dinge dieser beachtenswerten “Markgrafschaft” aufmerksam machte, für die ich in früheren Jahren noch kein rechtes Verständnis gehabt hatte, obwohl ich lange genug in ihrer Mitte lebte. Unter anderem verwies er mich auf das “alte Land” in der Nähe von Sorau, das in geologischer und ethnografischer Hinsicht eine förmliche Insel inmitten einer fremdartigen Welt bildet, und ich wünschte wohl, dass diese Zeilen einen berufenen Literaten zum Besuche des “alten Landes” anregten. Ich selber beschloss, nicht dorthin zu gehen, sondern unter Vermeidung der langweiligen Eisenbahn mich auf den Rückweg zu machen, um den Spreewald endlich einmal zu betreten, jene geheimnisvolle Landschaft, welche durch ihre Natur und mehr noch durch den sie bewohnenden Volksrest einen so eigentümlichen Zauber auf jeden Geschichtskundigen übt. Oft war ich schon in ihre Nähe gekommen bei Jahr um Jahr sich wiederholenden abstumpfenden Manövermärschen, aber nie war es mir geglückt, das wendische Eden zu betreten, das von diesem Jahr an durch eine Eisenbahn erschlossen und profan gemacht werden wird.

Mit Wenden habe ich schon viel zu tun gehabt und verschiedene Jahre in einem höchst langweiligen Garnisonsstädtchen mit ihnen zusammengelebt, denn das Regiment, dem ich angehörte, bestand zu einem Drittel auf Angehörigen dieses Slawenrestes. Damals hatte ich auch angefangen, die wendische Sprache und gleichzeitig die polnische zu erlernen, weniger aus Langeweile oder Sparsamkeit, als aus planlosem Wissensdurst, welcher Jünglinge mit unklaren Zielen bisweilen überfällt. Selbstverständlich gab ich diese Studien wieder auf, nachdem ich mich überzeugt hatte, dass die polnische Sprache die unlohnendste und schwerste sei, welche ich je kennengelernt hatte, und nachdem mein polnischer Freund und Lehrer, der auf dem Posener Gymnasium eine klassische Bildung eingesogen hatte, entlassen worden war.


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